Der norddeutsche Ausbruch mit Shiga-Toxin-produzierenden E. coli O104:H4 aus klinisch-mikrobiologischer Sicht

Vortrag im Rahmen Symposiums "Krisen und Konflikte: Von EHEC bis E10"

Vortrag von PD Dr. med. Holger Rohde, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), 13.01.2012

Zusammenfassung

Enteritis-verursachende Escherichia coli stellen ein lange bekanntes klinisches Problem dar. Hierzu zählen auch die sogenannten enterohämorrhagischen E. coli (EHEC). Diese Erreger verursachen nicht nur blutige Durchfälle, sondern können auch durch die Bildung eines spezifischen Toxins, desm Shigatoxins, ein lebensbedrohliches hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) auslösen. Jährlich werden in Deutschland etwa 1000 EHEC-assoziierte Krankheitsfälle gemeldet. Typischerweise treten die Infektionen bei Kindern in Form kleinerer Ausbrüche auf. Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, dass die Übertragung des Erregers über Nahrungsmittel erfolgt. Hierbei spielt insbesondere der Serotyp O157:H7 eine Rolle.

Zwischen Mai und Juli 2011 ereignete sich in Norddeutschland ein EHEC-Ausbruch bisher nicht bekannten Ausmaßes. Dieser Ausbruch war durch mehrere ungewöhnliche epidemiologische Merkmale charakterisiert: vornehmlich waren ältere Personen weiblichen Geschlechts betroffen, bei denen es in fast einem Fünftel der Fälle zu einem HUS kam. Verursacht wurde der Ausbruch durch einen ungewöhnlichen E. coli Stamm mit dem Serotyp O104:H4. Durch den Einsatz moderner Methoden der DNA-Sequenzierung gelang es, innerhalb von wenigen Tagen das Genom dieses Stammes zu sequenzieren und zu analysieren. Hierbei zeigte sich, dass der ursächliche Stamm verwandtschaftlich eigentlich nicht klassischen EHEC-Stämmen zugeordnet werden kann sondern vielmehr große Ähnlichkeit zu sogenannten enteroaggregativen E. coli (EAEC) aufweist. Im Unterschied zu klassischen EAEC besitzt der Ausbruchsstamm jedoch Gene, die ihn zur Produktion des Shigatoxins befähigen. Diese ungewöhnliche Kombination von genetischen Merkmalen könnte auch für die auffällige klinische Präsentation der betroffenen Patienten verantwortlich sein. Als Ursprung der Infektionen konnte durch detaillierte epidemiologische Untersuchungen der Verzehr von rohen Sprossen eines einzigen Produzenten nachgewiesen werden.

Die Geschehnisse des Sommers 2011 machen auf dramatische Weise die Vulnerabilität auch oder gerade einer modernen Gesellschaft gegenüber bakteriellen Krankheitserregern deutlich. Durch die Kombination und den eng vernetzten interdisziplinären Einsatz fortschrittlicher Maximalmedizin, mikrobiologischer Analytik und zielgerichteter epidemiologischer Aufarbeitung war es möglich, die großen Patientenzahlen adäquat zu betreuen und die Ursache des Ausbruchs rasch zu klären. Der Erhalt und weitere Ausbau der hierzu notwendigen Infrastruktur ist wesentlich, um auch zukünftige Ausbrüche mit möglicherweise bislang nicht bekannten Krankheitserregern beherrschen zu können.


Abstract

Escherichia coli is a common organism colonizing the human gut without causing disease. However, certain strains equipped with dedicated virulence factors can cause enteric infections ranging from mild diarrhoea to life threatening extra intestinal manifestations. Especially enterohemorrhagic E. coli (EHEC) are known for their potential to cause hemorrhagic diarrhoea and a syndrome termed haemolytic uremic syndrome (HUS), the latter resulting from production of specific toxin (shigatoxin, Stx). Typically, EHEC strains belong to serotype O157:H7 and cause food-borne outbreaks in children and young adults. Over the past years stable numbers of roughly 1000 patients have been observed in Germany.

Between May and July 2011 a large outbreak of infections related to a Stx-producing E. coli occurred in the northern parts in Germany, affecting more than 4500 persons. The outbreak was characterized by several unique epidemiological and clinical features: predominantly, females with an average age of 40 were affected, and HUS associated with significant neurological sequels occurred in 18 %. The outbreak was caused by an unusual E. coli belonging to serotype O104:H4. High throughput next generation sequencing technologies demonstrated that this strain was only distantly related to common EHEC strains but showed a high degree of similarity to so called enteroaggregative E. coli (EAEC). In comparison to typical EAEC, however, the strain carried phage-encoded stx genes allowing for the production of shigatoxin. This unusual combination of virulence genes in the outbreak E. coli strain could represent a genetic basis for the observed unusual clinical manifestation. Since early evidence suggested raw vegetables as a potential source of the infections, measures to cut novel infections especially included avoidance of raw salad, cucumbers, and tomatoes. Later, by in depth epidemiological studies, contaminated sprouts from one single distributor were identified as the source of the infections.

The german outbreak that was related to an unusual shigatoxin-producing E coli strain, ranging under the largest EHEC outbreaks ever observed, highlights the enduring vulnerability of modern societies by bacterial pathogens. By combination of advanced patient treatment approaches, sophisticated micobiological analytics and targeted epidemiological surveys, appropriate patient care was feasible and the source of the infection was identified. Maintenance and even further development of existing infrastructures are keys for future abilities to detect outbreaks related to novel or unusual bacterial pathogens and to initiate appropriate measures to interfere with their spread.